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Auf der Matte

spectrum, die Presse
08.06.2007

Die tägliche Routine, das Mindestpensum umfasst: Sichten des Werbematerials, Ausfiltern des Überflüssigen, und hier ist besondere Behutsamkeit erforderlich, sonst übersieht man was, und später tut’s einem dann leid, doch später ist halt leicht zu spät, wenn man sich vor den Konsequenzen einer falschen Entscheidung sieht und vielleicht feststellen muss, dass in dem einen Flyer, in dem einen Faltblatt, das in den Ausschuss gerutscht ist, der entscheidende Hinweis zu finden gewesen wäre, der uns vor der falschen Wahl bewahrt hätte, in dem er uns nämlich die Vorzüge eines anderen, für unsere Zwecke besser geeigneten, ja, fast schon maßgeschneiderten Produkts ans Herz gelegt hätte, an Herz und Hirn, denn die emotionale Intelligenz, das haben wir gelernt, führt den Verstand im Schlepptau. Also noch einmal von vorne, und diesmal richtig, diesmal schauen wir genau, damit wir einer solchen Fehlleistung von Anfang an vorbauen, den Weg zur richtigen Wahl nicht verbauen durch lässlichen Gebrauch der Hilfsmittel: Informationsbroschüren, Fernsehspots, Plakate, Flash-Pop-Ups.

Zurück zum Start, und diesmal gründlich: Sichten des gratis und frei Haus zur Verfügung gestellten Informationsmaterials, vergleichen mit der Bedarfsliste (nein, hier geht es nicht um die Wahl irgendeiner politischen Partei für irgendein Parlament, wir konzentrieren uns auf das Wesentliche, und das spielt sich woanders ab, wir sind professionell Umsatzanhebende, stolze (nützliche) Angehörige der Gemeinschaft der Endverbrauchenden, wir wissen: geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut, also tragen wir unser Scherflein bei, das versteht sich von selbst, dass man da sein Bestes gibt, wir tun hier um nichts weniger als unsere staatsbürgerliche Pflicht, doch was heißt hier: staatsbürgerlich, weltbürgerlich, sollte man sagen; wir handeln zwar lokal, weil wir nicht anders handeln können, denken aber tun wir in größeren Dimensionen).

Die Bedarfsliste hat man vernünftigerweise im Kopf gespeichert, das ist unter den gegebenen Umständen am zielführendsten, da hat man sie jederzeit und allerorts abrufbereit und kann sich die solcherart nunmehr inkorporierte Liste nicht nur bedarfsorientiert vor Augenführen, sondern bedarfsweise als Antwort auf die aktuelle Situation um jedes allfällige weitere Bedarfsobjekt erweitern. Diese To-Do-, präziser eigentlich: To-Get-Liste wird also Punkt für Punkt abgearbeitet, dann lässt sich bald das Zielgebiet für jede Wahl auf eine mehr oder weniger überschaubare Produktgruppe eingrenzen. In diesem Stadium des Wahlvorgangs sind einige Durchgänge erforderlich, in deren Verlauf die Zahl der Produkte in der Zielproduktgruppe weiter eingedampft, wenn nicht gar schon auf ein oder zwei Artikel herunter gebrochen werden kann, Aussonderungsrunden, für die es Mut braucht, und vom Mut der Verzweiflung kann doch wirklich noch keine Rede sein, wir haben doch gerade erst angefangen, so schwer ist das nicht, es sind eben nur scharfe Qualitätskontrollen anzuwenden bezüglich: Aussehen, Anforderungsprofil, Ausführung, Preis.

Ja, das Gewicht des Preises ist nicht zu unterschätzen, er muss dem Gebotenen entsprechen, nicht überhöht, aber auch nicht zu tief angesetzt sein, kein Schleuderpreis, wir werden uns doch nichts nachschmeißen lassen (außer vielleicht manchmal, gelegentlich und eigentlich ganz ausnahmsweise im Zuge von im nachhinein ein wenig peinlichen Rauschkäufen, aber darauf wollen wir jetzt lieber nicht allzu detailliert eingehen, wo Reduktionslawinen losgetreten werden, denen wir wenig entgegenzusetzen haben, von denen wir uns dann schließlich nur allzu willig unter sich begraben lassen, haben wir erst einmal Rabatt gerochen und Preisnachlass geleckt).

Denn im Prinzip wissen wir, was wir uns wert sind, und was nichts kostet, ist auch nichts wert, so einfach ist das, das haben wir schon mit der Babynahrung mitgekriegt, und ein augenscheinlich nicht entsprechendes Erwerbsstück färbt auf die Umgebung ab, fällt letztlich nur auf uns zurück und schadet uns im Endeffekt, also, zumindest der Ausgangspreis muss stimmen, dann macht der Preisnachlass gleich doppelt Spaß, und unseren Spaß wird man uns hoffentlich noch gönnen, und das Design natürlich, nicht, dass uns das wichtig wäre, wir sehen das ganz nüchtern, behalten da einen ganz kühlen Kopf, auf den Inhalt kommt es an, das sind wir jederzeit bereit auf unsere Fahnen zu heften; aber, soviel weiß man ja, nicht umsonst haben wir schließlich das Auswählen und Konsumieren so gründlich gelernt, nicht umsonst, das wissen wir, verfeinern wir es durch ständiges Üben und lebensbegleitendes Lernen: was die Packung verspricht, wird der Inhalt schon halten, da bleibt ihm gar nichts anderes übrig, soweit kommt’s noch, wozu haben wir Vorstellungsvermögen, Phantasie und Willenskraft.

So. Die Wahl ist also getroffen, das war doch gar nicht schwer. Die Produktgruppe ist im gewünschten Ausmaß geschrumpft, nämlich auf das eine Produkt, das alle Anforderungen des Forderungskatalogs erfüllt, oder auch zwei, wir wollen da nicht so sein, das Geld muss ja im Umlauf bleiben, sonst droht ein Stottern, und das ist der Anfang vom Ende, der Beginn von bedenklichen Rhythmusstörungen des Umsatzmotors, wenn nicht gar Bedenklicherem, und nichts könnte unseren ehrlichen Absichten mehr zuwider laufen, als wenn wir so plötzlich auf die Wirtschaftsbremse stiegen, darum, warum auch nicht, können wir uns auch einmal zwei Neuanschaffungen leisten statt der projektierten einen. Das wäre also geklärt. Wir müssen nur noch zur Tat schreiten.

Hier teilt sich dann die Spreu vom Weizen. Denn trotz allerbester Vorbereitung kann es vorkommen, dass man auf einmal vor Regallaufmetern voller Waren, deren Packungsdesign größtmögliche Vielfalt behauptet, kopfscheu wird und nach dem nächsten besten Nächstgelegenen greift, wir wissen schon, dass das nicht zufällig da steht, wo es steht, dass kein Produkt sich ohne Absicht auf Augenhöhe mit uns begibt, so ganz zwanglos auf du und du ist mit den Kunden, und dann kann es eben passieren, dass man blindlings zugreift, und schon ist der ganze schöne Plan Makulatur; nein, so etwas sollte wirklich nicht passieren.

Kann es auch gar nicht. Denn unsere Fähigkeiten im Wählen, oder vielmehr im Auswählen, werden ständig optimiert und auf Vordermann gebracht, das Auswählen ist Notwendigkeit, Zeitvertreib und Lebensinhalt, es verbindet das Erforderliche mit dem Unterhaltsamen, und die wirklich entscheidenden Entscheidungen, das haben wir längst begriffen, werden woanders getroffen, die gehen uns nichts an, mit denen brauchen wir uns nicht zu belasten, da machen wir uns keinen Kopf, solange wir nur auswählen und verbrauchen, entsorgen und erneut wählen aus dem Panoptikum an individuellen Möglichkeiten, dem wunderbaren Produktkatalog, der uns jeden Morgen in so aufmerksamer und selbstloser Weise zu Füßen, zumindest auf die Fußmatte gelegt wird.

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