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Bahnfahren

Unterm Strich
Berliner Zeitung, Printausgabe
22.06.2015

Der Ball fiel dem Mädchen aus der Hand, nachdem sie in dieses öffentliche Verkehrsmittel eingestiegen war, er rollte ausgerechnet unter die Sitzreihe, in der der Mann mit den schrundigen Füßen saß, der sich die Zehennägel schnitt, und die Mutter des Mädchens forderte es auf, den Ball dort liegen zu lassen. Der Mann war mittelalt, vielleicht sah er auch nur aufgrund seiner Verwahrlosung älter aus, als er war, kaum jemand betrachtete ihn genau genug, um das sagen zu können, denn von ihm ging ein Gestank aus, der den ganzen S-Bahnzug erfüllte. Die auf die Zeit zwischen Friedrichstraße und Hackeschem Markt, zwischen Hauptbahnhof und Friedrichstraße spezialisierten Musiker, die üblicherweise nach dem Schließen der Türen in Windeseile ihr Gerät aus speziellen Taschen und unter den Plastikverdecken ihrer Rollwagen hervorholten, die sie zuvor wie eine leicht ironisierende Anspielung an die allgegenwärtigen Businesstrolleys hinter sich hergezogen, oder, eleganter, auf vier Rädern vor sich her manövriert hatten, um den Saints oder dem Girl from Ipanema nachzutrauern, Geld einzusammeln und noch vor dem Halt in der nächsten Station alles unauffällig wieder zu verstauen, hatten die Lage sofort richtig eingeschätzt und den Rückzug auf den Bahnsteig angetreten. Die Rollgefährte, die in diesem Fall ja wirklich essentieller Bestandteil eines Geschäftsmodells waren, standen still bei Fuß.

Die anderen, neu Zugestiegenen und vom Sachverhalt Überrumpelten drängten sich nun in den entferntesten Zugecken zusammen und hielten sich die Nasen zu. Wobei, so dachte die Mutter, die Gasmoleküle, vor denen sie sich schützen wollten, nun erst recht ungehindert durch den Mund eindringen konnten. Der Gestank – nach Fäulnis, Verwesung am lebenden Objekt? – war im übrigen so heftig, dass selbst die an Gestalt und Geruch der Obdachlosigkeit gewohnten Einheimischen davor geflohen waren. Einige von denen, die unter den Brücken, Fahrradstegen, in Zelten und Schlafsäcken hausten, hängten die frischgewaschene Wäsche an Leinen zwischen den Brückenstreben zum Trocknen auf, ein letzter Kampf um Würde, dachte die Mutter, und weiter, dass der Kampf um die besten Unterbrückenplätze Menschen wie sie wohl abgeschlagen zurücklassen würde. Zu ungeübt, um zu überleben. Dass man als Frau unter Obdachlosen wohl erst recht zweite Klasse wäre, zweite Klasse der vorletzten Klasse – die letzte Klasse, wie überall, exklusiv für Flüchtlinge reserviert –, an die Randplätze gedrängt, dort, wo die Witterung schon ein wenig unbarmherziger zuschlug und die Schlafsäcke durchweichte.

Das Mädchen war unzufrieden: Der Ball war unter der Bank stecken geblieben, bei einer entschiedenen Bremsung nach vorne gerollt, in ihre Richtung, und man hätte ihn holen können, doch die Mutter verhinderte das, indem sie an der nächsten Station ausstieg und die Tochter, die auch schon zu alt war für eine solche Behandlung und den Protest darüber hörbar kundtat, vor sich her schob. Die darauffolgende Bahn kam schnell, eine Frau drängte sich an Mutter und Tochter vorbei, die, zugegebenermaßen, ihr etwas mehr Platz und Zeit zum Aussteigen hätten lassen können, baute sich auf dem Bahnsteig auf und brüllte in den noch offenen Wagon zurück. Der Körper angespannt, das Gesicht überraschend ruhig, die schmalen Arme schwingend, ohne Ziel, wie um sich des Raums zu versichern, stieß sie eruptiv Satzbrocken aus, von denen nicht viel mehr zu verstehen war als: fucking russian Sowjetmädel. Eine andere Passagierin fühlte sich sofort angesprochen, sprang auf, lief auf die Amerikanerin zu, hielt sich an der Stange neben der Türöffnung fest, kam der spontan zur Gegnerin Erkorenen über den Schienenabgrund hinweg viel zu nahe und schrie: Wissense, watse mich können? Dann schlossen sich die Türen, eine Trompete gab die ersten Töne von sich, das Mädchen fragte: Was hat sie gesagt? Die Mutter dachte kurz nach, dann sagte sie: Ich glaube, das war die Einsamkeit?, und dabei endete sie den Satz in einer Fragekurve, den amerikanischen Tonfall wie nebenbei imitierend.

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