Angesichts der Überforderung vieler Menschen mit dem nachrichtentechnischen Einbruch der Gegenwart in die Alltagswahrnehmung ist das Bedürfnis nach Gefühl, auch nach Gefühligem größer denn je: wenn das nun mal nicht zur Biedermeierei wird! Und selbst die kann nicht verhindern, dass die Welt tatsächlich einbricht in den global vernetzten, abrufbaren und zugriffsbereiten Krähwinkel. Hier ein kleiner Auszug aus den Kleinanzeigen eines österreichischen urbanen Wochenblattes[1]: Wohlfühlgymnastik – Transmissionsmeditation – AstroCoaching –Bewusstseinsenergetik – Wohlfühlsessions – Lebensberatung – Bosnien: Mystische Reise – Tanze und lache in dein Paradies auf Erden – Achtsamkeitstraining – Anatomie-Seminar – Schamanische Sitzung – HofAstro – Sinnliche Massage für Frauen – Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion – Holomantische Energie- und Gedankenarbeit – Tarot: Problemzentrierte Chakra- und Beziehungslesungen – Selbstliebe-Training – Energetische Harmonisierung – Rebirthing – Neuroschamanismus – Aromaabend – Intime Körperarbeit für Genießerinnen und Menschen auf dem Weg dorthin, also Menschen auf dem Weg zu den Genießerinnen, wie man annehmen darf? Wobei letztere demnach nichtmenschlich wären?
Interessant ist auch, dass der Versuch, dem eigenen Angebot besonderen Nachdruck zu verleihen, oft über Abstecher in die ansonsten ach so geschmähte, weil eine gewisse Expertise suggerierende naturwissenschaftliche Begrifflichkeit gewählt wird, „energetisch“, oder gar „quanteneregetisch“ wird in dem Kontext plötzlich wieder sehr geschätzt. Mein persönlicher Favorit ist übrigens die Holomantie, ich plädiere für holographische Quantenholomantie, aber ich hab’s mit den Alliterationen, wie Sie bemerkt haben dürften, meine kleine und etwas kindische Rache an der Newsflashsprache, mein individuelles Werkzeug zur Handhabung der verbalen Überschwemmung. Das Bedürfnis nach dem In-sich-hinein-Hören wächst in einer Gesellschaft, die andererseits die Selbstabrichtung für vermarktbare Zwecke, also für die Ausübung von Aktivitäten, die Geld einbringen könnten, stetig mehr einfordert und in den Vordergrund stellt. Tatsächlich wird dieses In-sich-hinein-Hören wiederum selbst zum Zweck der Selbstoptimierung eingesetzt, denn nur, wer mit sich selbst einigermaßen zufrieden und körperlich belastbar ist, kann dauerhaft funktionieren. Das heißt, die Selbsterforschung wird notgedrungen nur oberflächlich betrieben, die Begrifflichkeiten suggerieren jedoch wesentlich mehr: Profundität.
Das breite Feld der Lebensberatung, der Ernährung und des Diätenwesens – das eine handfeste und leicht eingängige Variante des auf sich selbst Schauens bietet – lebt von Begriffen wie Nachhaltigkeit, Gleichgewicht, Ganzheitlichkeit, Einklang, Natürlichkeit, ohne dass man viel über deren Inhalt oder Fundierung erfahren könnte. Vor allem aber führt es gemeinsam mit der Forderung nach Gesundheit und körperlicher Fitness und ihrer wachsenden detailgenauen Überwachung durch Apps und Fitness-Watches und –Bänder aller Art dazu, dass munter das eigene körperliche Universum ausgestaltet wird – dass das Private dabei gar nicht mehr privat bleibt, nicht aus den altbekannten Gründen, sondern weil eine allwissende Dingwelt dabei ist, die Kontrolle über ihre Menschen zu übernehmen, ist dabei mindestens ebenso bedenklich, wird aber resignierend hingenommen. Die Vereinzelung, die Konkurrenz des und der einzelnen, der einzelkämpfenden Ökonomiemonaden wird dabei weiter beharrlich vorangetrieben, was die Blickmöglichkeiten auf die anderen, das Gemeinsame, das Strukturelle, ja, auch auf gesellschaftliche Übereinkünfte und ihre Grundlagen einengt.
Auszug aus „Politik der Emotion“, Frühlingsvorlesung der Akademie Graz im Literaturhaus Graz. Der Text wird in Buchform im Januar 2018 im Residenz Verlag erscheinen.
[1] falter, 22.02.2017