Die Endabnahme des Körpers ist dann eigentlich nur mehr eine Formalität. Schwieriger ist der Anfang.
Am Anfang ist noch ein gewisser Eigensinn vorhanden, wird nach Hausschlüsseln gesucht, um die Wohnungstür zu versperren und überhaupt wird ganz generell der Grundsatz in Zweifel gezogen, dass über das Schließen einer Tür ebenso wie auch über andere Dinge, die zum Besten der Neuzugänge zu geschehen haben, hierorts befugte und kraft ihre Amtes befähigtere Personen befinden. Der Widerstand gibt sich zwar mit der Zeit – hier ist längeres Verbleiben der sich der Betreuungseinrichtung anvertraut Habenden (in der Folge als Klienten bezeichnet) in der Horizontale durchaus hilfreich. Schon ein kleiner unerwarteter Luftzug kann schließlich für das durch den Ortswechsel schon ein wenig angegriffene Immunsystem zuviel sein, sodass den im Gefolge der vor allem zu den Feiertagen einsetzenden Verwandtenbesuche vermehrt auftretenden Krankheitserregern buchstäblich Tür und Tor geöffnet wird, und so schnell kann man gar nicht schauen, hat sich da schon wieder ein grippaler Infekt seinen Weg gebahnt. Nun muss verhindert werden, dass der in den Aufenthaltsräumen womöglich ein erweitertes Betätigungsfeld vorfinden könnte; es ist also in einem solchen Fall schon um der Gefahr von Mehrfachinfektionen und Renitenzbildungen vorzubeugen strikte Bettruhe angezeigt. Die damit einher gehenden Muskelrückbildungen und Sehnenverkürzungen vermögen ungehemmtem Bewegungsdrang einen durchaus zweckdienlichen Riegel vorzuschieben, sodass es gar nicht erst zu dem vom Trägerverein zu Recht gefürchteten unautorisierten Verlassen der Liegenschaft und all den damit verbundenen haftungstechnischen und vormundschaftsrechtlichen Konsequenzen kommen kann. Denn wer muss die Verantwortung übernehmen, wenn etwa ein drittes Gebiss der ihm angepassten Mundhöhle verlustig geht und sich dann womöglich auch noch in gesundheitsbeeinträchtigender Weise den Extremitäten eines – sagen wir einmal straßenbahnfahrenden Rauhaardackels annähert? Eben. Und bis eine solche Frage zur Zufriedenheit der betroffenen Konfliktparteien geklärt werden kann, muss eine betriebswirtschaftlich kaum zu rechtfertigende Zahl an Personenarbeitsstunden aufgewendet werden, deren anderweitiger Einsatz mit Sicherheit zielführender wäre. Solchen und ähnlichen Kollateralschäden sollte ausgewichen werden, und die Häufigkeit ihres Auftretens verhält sich umgekehrt proportional zur Mobilität der Klienten.
Zentrales Gebot ist die Ablaufsoptimierung, und jetzt, wo die Körper nicht mehr halten, was sie einmal versprochen haben müssten, gilt es, Schadensbegrenzung zu betreiben, den immer schnelleren Verfall zu begleiten, zu überwachen, wo es nötig ist, regulativ einzugreifen und in geordnete Bahnen zu lenken. Der Prozess des Loslassens ist naturgemäß ein schwieriger und erfordert Ausdauer und stetes Üben. Als nächster Schritt bietet es sich an, den mühevollen Prozess des Aufsuchens von Sanitätseinrichtungen aller Art (gerade mit Gehgestell oder im Rollstuhl handelt es sich dabei um ein ausgesprochen langwieriges und der Bequemlichkeit und dem leiblichen Wohl der Klienten diametral entgegenstehendes Unterfangen) in einer ersten Etappe zugunsten von Leibschüsseln und später dann, wenn der Gedanke an Würde und Intimsphäre höchstens die Lachmuskeln reizen könnte, zugunsten von Windeln auszuschleichen, die zudem den Vorteil haben, dass sie selbst beim Aufsuchen von Gemeinschaftsräumen – sofern das für eine solche Nutzung der Bewegungsfreiheit als Mindestvoraussetzung betrachtete Niveau des körperlichen Allgemeinbefundes wieder erreicht werden konnte –, dass diese funktionellen Einlagen also selbst beim Essen oder bei das Gemeinschaftsgefühl trainierenden Gruppenabenden vor dem Fernseher nicht abgelegt werden müssen, was die Insassen zudem unabhängiger von der Verfügbarkeit des Pflegepersonals werden lässt.
In dieser Problemzone genügen in der Folge regelmäßige Kontrollen, um ein Wundwerden zu vermeiden oder zumindest hintanzuhalten. Dabei bieten sich bei etwas gutem Willen zudem Gelegenheiten zu unmittelbarem zwischenmenschlichen Kontakt und interessanten diskursiven Konfrontationen, da die mit dem Wechsel der Einlagen Betrauten nicht selten von den Philippinen oder anderen im Dienstleistungssektor führenden Nationen stammen und oftmals eine äußere Erscheinung aufweisen, die in dem einen echten Wähler oder der anderen richtigen Durchschnittsklientin schon einmal Assoziationen mit dem Meinl-Mohren und anderen Reminiszenzen kaiserlicher Hofhaltung hervorrufen kann. Dies bietet auf der anderen Seite Raum für den positiven Nebeneffekt, die Fantasie der Betreuten zu stimulieren und erfreuliche nostalgische Erinnerungen an Zeiten zu wecken, als heimische Produktionen noch schön und (nur böse Zungen würden sagen: ein wenig zu) blauäugig sein durften.
Falls doch einmal wider Erwarten ein bisschen Geist hervorbricht, sucht er angesichts der Umstände ohnehin das Weite, das sich in Form von Kindheitserinnerungen und Jugendfantasien nicht lange bitten lässt; das Schwelgen darin greift rasch um sich und führt dazu, dass sowohl das räumliche als auch das personelle Umfeld sehr bald schon recht verändert wahrgenommen wird, und zwar so, dass es sich in die fantasierten Erinnerungswelten ganz zwanglos einpasst, was wiederum fast zwangsläufig zur Folge hat, dass nicht nur die Fähigkeit zu anderen Aktivitäten als dem Erinnern sondern auch das Interesse daran zunehmend schwindet. So dauert es auch meist nicht lange, bis ein Verlassen des Bettes als unnötige Belastung empfunden wird. Bei günstigem Verlauf lässt sich dieser sich nun schon dem Endziel deutlich annähernde Zustand auch zeitlich in vernünftigem Rahmen halten; allzu oft passiert es leider, dass der Lebenswille sich als zu dominant herausstellt (in fast schon selbstschädigender Weise!), sodass der unschöne und vor allem für die Betroffenen selbst so belastende körperliche Ab- und Rückbauvorgang unnötig in die Länge gezogen wird. Auch da gäbe es natürlich Lösungsansätze, aber in dieser doch fast ein wenig existenziell daherkommenden Frage muss der Meinungsbildungsprozess erst noch so richtig auf Touren kommen.
Denn die Phasen, in denen der verfallende Organismus sich zwar auf zunehmend bescheidenerem Niveau, aber doch immer wieder erstaunlich dauerhaft zu stabilisieren im Stande ist, können sich in die Länge ziehen. Und selbst wenn dabei auch schon die Ansprechbarkeit ein Opfer der Umstände geworden sein sollte, müssen – abgesehen von den schon diskutierten hygienischen Maßnahmen – doch immerhin die Verwandtenbesuche betreut, die Blumen gewässert, die Pralinenschachteln versorgt und Medikamente verabreicht werden. Als sehr hilfreich erweisen sich hier fixverlegte Leitungen, durch die im Bedarfsfall direkt an das venöse System angekoppelt wird und die ansonsten problemlos stillgelegt, sprich: verstoppelt werden können. Zudem bietet eine solche Leitung den Vorteil, dass sie nicht nur eine Möglichkeit zur bedarfsorientierten und instantanen medikamentösen Versorgung darstellt, sondern auch für die Einspeisung von Nährlösungen ausgesprochen zweckdienlich ist. Komplikationen können höchstens bei allzu heftigen Armbewegungen auftreten, einem solchen Risiko kann jedoch auf einfache Weise durch Fixierung vorgebeugt werden.
Im Endstadium intensiviert sich noch einmal der Betreuungsaufwand für die Angehörigen, die über Abwicklung und Kosten der begleitenden Maßnahmen zu informieren sind; die Endabnahme des Körpers ist, wie eingangs schon erwähnt, mehr oder weniger eine Formsache.