Ich falle ungern auf, doch biete ich Projektionsflächen. Das ist mein Lebensinhalt, doch, wirklich, mein Inhalt, mit dem Sie mich gerne füllen dürfen.
Das dürfen Sie sich so vorstellen: Sie stellen sich vor meinem Bild auf, das erkennen Sie ganz ohne Schwierigkeiten an den leicht flimmernden Rändern, einfach so davor, ganz mittig, und wenn Sie genau hinsehen, dann sehen Sie, dass Sie zwischen den Rändern nichts sehen, ein irgendwie flirriges Nichts, das kommt daher, dass Sie sich noch nicht richtig auf meinen zentralen Kompetenzbereich eingestellt haben. Das tun Sie am bestem, indem sie erst einmal ganz locker defokussieren, richten Sie den Blick ganz bequem in die Ferne, so lässt die mir innere Weite ihren Blick ganz von allein in meine Mitte gleiten, so in Sonnengeflechthöhe, wo man sich sowieso ganz mittig fühlt, Sie verstehen, da trifft dann Ihr Blick als Übereinstimmungsanfrage ein, ganz sanft, und in mir sucht die Anfrage dann tastend, liebevoll, findet einen Ankerpunkt und dockt sich an, bekommt Response, und schon ist da ein ganz körperlicher Übereinstimmungsbogen, der findet dann ihr Sonnengeflecht und Sie lehnen sich zurück und genießen kurz das sich ausbreitende Wohlgefühl. Und was es ist, das Sie dazu bringt, sich wohlzufühlen, das wissen Sie am besten. Aber wie wichtig es ist, dass Sie sich wohlfühlen, wissen wir beide, das ist ein Geben und Nehmen, und so wabert das Wohlgefühl hin und her auf diesem Übereinstimmungsbogen, eingefärbt möglicherweise von den Vorgaben gewisser Boulevardblätter, aber wer könnte schon von sich behaupten, frei von äußeren Einflüssen zu sein. Das Wohlgefühl dürfen Sie übrigens behalten, das können Sie mitnehmen, wenn Sie zurückgehen in Ihre Welt da draußen, die ich mir gerne aus der Ferne ansehe.
Am Abend dann gehe ich auf Bier oder einen Spritzer, je nach Jahreszeit, auch ohne sonderlich viel an handfestem Innenleben braucht man nämlich manchmal ein bisschen Zuwendung, von nichts kommt nichts, das weiß man ja, da haben wir dann so einen kleinen Debattierklub, Leerstellen unter sich, gewissermaßen, und die Leere schwappt über die Ränder und mischt sich mit der benachbarten, dass es eine helle Freude ist. So lässt es sich gut leben! Ein paar Außenstehende drängen sich dazu zu unserem Gruppenkuscheln, kein Wunder, uns wird ja selbst schon ganz warm um die Herzstelle, und wir lassen sie ein bisschen mitschunkeln, diese jetzt nicht mehr ganz so weit außen Stehenden, Sie wissen schon, die, die immer am Rand eines Geschehens zu sichten sind, wenn sie sich Vorteile versprechen. Die sind uns immer willkommen, auch das ein gegenseitiges Geben und Nehmen, und mit der Zeit erkennt man sie zehn Kilometer gegen den Wind, in den sie ihre Mäntel hängen.
Während ich mich in mein bis zum Karamellisieren gebräuntes Brathuhn vertiefe, nähert sich so einer, diesmal linksherum, den kenn ich, den hab ich schon gesehen, der will etwas, ich lächle kauend, der ist doch, hat er das nicht vor einem halben Jahr bei der Konkurrenz versucht, ein unsicherer Kunde, ich lächle, schaumermal, ein Schaumermal-Fall, eindeutig, wir werden langsam japanisiert hier: das Wort NEIN existiert nicht in unserem Wortschatz, nicht mal im Denkschatz, in der denkbarsten aller Vorstellungen, sagen tue ich: Eine wundervolle Idee, das entspricht ganz unserer, unserem, was eigentlich? Im Abgang, muss ich sagen, hat das Fleisch eine leicht verbrannte Note.
Dann rettet mich die Kellnerin, pfirsichgesichtig trotz der leichten Kaffeebräune, so runde pralle Wangen, eine spezielle Züchtung, ich gebe eine dringende Bestellung auf, das Aufgeben erträgt keinerlei Verzögerung. Sie antwortet dialektgefärbt, sie passt hierher, sie muss einen Grund dafür haben, hier zu arbeiten, ich meine, Spaß ist das keiner. Ich bin der Meinung. Vergessen. Ich werd doch noch Meinungen haben, aber zur Zeit finde ich keine. Ich werde die Kellnerin nach ihren Gründen fragen. Ich lächle ihr zu, wie ich das immer mache, wenn Lächeln gefordert ist. Sie lächelt zurück, mir ist schon klar, dass mein Anblick nicht der interessanteste ist, aber die Position macht doch einiges wett. Meine Position kann mir keiner absprechen, auch wenn sie schwer zu lokalisieren ist, überhaupt heute. Und den rechten Rand gemeinde ich locker ein.
Den rechten Rand hole ich direkt hinein in die Mitte, die nicht nur meine Mitte ist, sondern unsere, die Mitte der Gesellschaft, kurz gesagt. Genau dort beim blinden Fleck. Rechts von uns ist nur noch die Wand, und zwischen die und uns passt kein Blatt mehr, auf das man sich einen Reim machen könnte. Soweit die Theorie, aber irgendwie funktioniert das nicht so, wie ich das will und mir vorstelle, also, mit den Reimen schon, die werden mehr und mehr und von Mal zu Mal erbärmlicher. Mit der Elastizität funktioniert es nicht, daran müsste noch gearbeitet werden, vermutlich, dabei hat man als nicht mehr ganz unerfahrene Leerstelle doch einiges an Elastizität zu bieten, es hilft nichts. So sehr wir uns auch ausbeulen und den rechten Rand verschieben: der ist immer schon ein Stück weiter und grinst sich eins. Die Wand weicht aus, das ist die einzig mögliche Erklärung. Je mehr ich mich als Vertreter der Wohlfühlgemeinde Mitte auch ausdehne, desto flexibler reagiert die Wand.
Der Kunde gibt so schnell nicht auf, jetzt hat er meinen Stellvertreter in Arbeit, den Leerstellenstellvertreter, und dieser Wortwitz heitert mich derart auf, dass ich eine Anekdote erzähle. Die Kellnerin bleibt stehen und lauscht. Mein Stellvertreter wird in der Mitte unscharf, während er versonnen, leicht verschmitzt, könnte man sagen, in sein Glas starrt, als läge dort ein Hinterhalt, der Leerstellenstellvertreter ist für sich genommen auch schon eine Leerstelle, und ich überlege kurz, ob ich eine Gefahr für mich sehen soll. Die Anekdote nähert sich ihrem dramatischen Höhepunkt, während ich heimlich meine Verbindung mit der Kellnerin prüfe, von der ich sicher bin, dass sie existiert und stark ist, und wirklich: da ist was. Ich spüre es ganz genau.
Es ist allerdings gar nicht so leicht, keine Meinung zu haben, und trotzdem dauernd umzufallen. Das braucht Übung und Fingerspitzengefühl. Umfallen in alle Richtungen gleichzeitig wie ein ideal geworfenes Mikadobündel, das man zuvor mit eleganten Handgriffen präpariert und dessen Stäbe nun strahlenförmig auffächern wie ein Heiligenschein, das hat eine gewisse Schönheit in sich, die nicht jeder auf den ersten Blick zu würdigen weiß. Das waren doch auch Höflinge, Mikados, vielleicht deshalb das Umfallen. Dann kommt die Kellnerin und will nach meinem Teller greifen, bittet um die Herausgabe der Haut ihres Vaters, haha, sage ich; die ist verbrannt, knusprig braun, sage ich, lang schon, und keiner kann sagen, es wäre Brandstiftung gewesen, das war es nämlich nicht, in diesem Fall ganz sicher nicht, es war der Blitz, ein göttlich zündelnder Zornfunken. Glaube ich halt. Sie sagt: verbrannt, was soll man machen. Da gibt es nichts mehr zu betrauern, und ich frage sie, ob sie auch glaubt, dass Mikadostäbe so heißen, weil sie umfallen wie Hofschranzen. Und sie lacht. Da stellt sich unser Kunde vor sie hin und fordert sie auf, ihm noch was zu bringen, was für ein aufdringlicher Mensch, und sie nickt nur und schiebt ihn fast zur Seite, so macht man das, das kann man sich was abschauen, so was kann unsereins sich leider nicht erlauben. In diesem Moment beneide ich sie, wie sie da steht mit meinen verbrannten Resten in der Hand und ihn dennoch ganz unmissverständlich auf seinen Platz verweist, den er schließlich anzustreben scheint, wobei, da fällt mir ein, der hat ja gar keinen. Zumindest hier nicht.
Das heißt Mandarin, sagt sie nachher zu mir, die Mandarine sind die chinesischen Hofbeamten, nicht die Mikados. Hat sie wahrscheinlich heimlich gegoogelt hinter der Theke. Wie man das heutzutage macht. Ich bin ja nicht von gestern. Auch wenn ich mich manchmal wundere, dass unser unermüdliches und stets einsatzbereites Für-die-Wähler-Dasein sich so wenig in den Wahlergebnissen niederschlägt. Dann heißt es wieder, Leute wie ich seien konturlos, dabei ist es doch gerade die klar definierte Kontur, die eine Leerstelle auszeichnet, auch wenn die Kontur sich durchaus anpassen kann, wie gesagt, wenn es drauf ankommt. Aber das passt ihnen dann auch wieder nicht. Undankbares Volk. Der Kunde geht, wie mir ein kurzer Blick aus den Augenwinkeln bestätigt. Hab ich den etwa doch zu sehr vernachlässigt?
Jetzt aber zu der konkreten Vertreterin von Volkes Stimme vor mir: Was immer sie will. Ich gebe ihr natürlich recht. Von mir aus. Ich werde mich doch nicht mit einer potentiellen Wählerin streiten. Und noch ein Spritzer, wenn’s leicht geht. Dann fällt mir ein, dass die Mandarinen aber auch eine irgendwie sternförmige Struktur haben, das ist es, sage ich, das Mandarinenspaltenförmige. Und jedes Stück für sich hat doch so was wie eine Kante, eine weiche weißfasrige Kante zwar, an deren Enden man herumspielen und den Faden abziehen kann, was die Kante sauberer und glatter macht, aber immer noch nicht ganz so, wie ich mir eine ordentliche Kante vorstelle. Die Kante war aber eh nicht das, was ich gesucht habe. Nein, die Mandarinenspalte ist ein schlechtes Bild, und ich lächle die vielleicht wahlbereite Untertanin an, bevor sie sich noch der Stellvertretung zuwendet. Aber das tut sie gar nicht, sie dreht sich um und gibt mir Gelegenheit, ihre Hinteransicht auf dem Weg zur Küche zu verfolgen, die jeansverpackten Hinternhälften im freien Wechselspiel der Muskelkräfte. Da könnte noch was laufen, so nach noch zwei, drei Gläsern. Da gibt’s nicht gleich ein impeachment, eine Verpfirsichung, diesen Witz muss ich ihr erzählen, wenn sie wiederkommt, Flecken werden bei uns ausgewaschen, einfach in die Waschmaschine mit dem Beweisstück, corpus delicti, Verfehlungskörper, das ist der kürzeste Prozess. Bei uns muss man nicht einmal bestreiten, dass es nichts Sexuelles war, Gott sei Dank. Prüderie ist unsere Sache nicht, wir stehen mehr fürs Handfeste.
Das macht die katholische Beichttradition, denn was, fragt schon der alte Witz, ist wohl die erste Voraussetzung für die Vergebung der Sünden? Die Sünde selbst natürlich, stupid.
Überhaupt tritt bei uns nie irgendwer zurück, auch sonst, will ich sagen, so allgemein, nach entscheidenderen Missgriffen als solchen, die eben genau nicht sexuell zu nennen sind, verbalen, beispielsweise, die dann vom Fußvolk mühsam wieder ausgebügelt werden müssen, weil irgendwer wieder im falschen Moment vor dem falschen Mikrophon seinen Mund nicht hat halten können. Wir treten nicht zurück. Zurückgetreten wird nicht!
Wovon sollte auch eine Leerstelle zurücktreten, die Position einer Leerstelle ist ja extrem schwer auszumachen mit freiem Auge. Nein, in Österreich wird nicht zurückgetreten, was auch immer sich als Grund anbieten würde. Von anderen Fehlleistungen als verbalen ganz zu schweigen: die sitzen wir locker aus. Locker aus der Hüfte. Je fetter unser Sitzfleisch, unser angesammeltes Leerstellenschwerpunktsgewicht, der Fettsteiß, desto lockerer sitzen wir aus.