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Mut

Zur Ausstellung „SIE WERDEN ES NICHT ERTRAGEN, SICH HINTER MAUERN UND ZÄUNEN ZU VERSTECKEN“

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Ich will mir wahrscheinlich selbst hier Mut machen. Zwar wird die Inhumanität als pragmatischer Umgang mit den Herausforderungen der Gegenwart verkauft, und man gewöhnt sich daran – genau gegen dieses sich Gewöhnen richten sich die Werke dieser Ausstellung: Sie machen die Ungeheuerlichkeit präsent.

Zwar regt sich das Gewissen: Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich als Jugendliche Bücher las, die wahlweise die Sklaverei in Rom oder im neuzeitlichen Amerika schilderten, und ich wunderte mich, wie man, sagen wir, als römische Patrizierin mit dem Wissen um die Rechtlosigkeit der im eigenen Haushalt unter widrigsten Bedingungen Arbeitenden leben konnte – erst später begriff ich übrigens, dass auch die römischen Ehefrauen auf Leben und Tod ihren Männern ausgeliefert waren. Was mich erschütterte und was ich heute an mir selbst bemerke: Eine gewisse Erschöpfung und Resignation angesichts eines offensichtlich himmelschreienden Unrechts. Eines Unrechts wie des indirekten der globalen Wertschöpfungskette, die einen Großteil der Menschheit marginalisiert und in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse zwingt, um einem anderen Teil die Konsumation von Billigprodukten zu ermöglichen, mehr noch, ihn von dieser Form der Konsumation abhängig zu machen. Dabei gibt es selbstverständlich Schnittmengen zwischen den beiden Gruppen, also Menschen, die unter widrigsten Bedingungen arbeiten UND gleichzeitig als Konsumentinnen und Konsumenten interessant sind. Oder angesichts des direkter sicht- und spürbaren Unrechts der Gleichgültigkeit gegenüber den Menschen, die aus welchen Gründen auch immer ihrem Elend entkommen wollen, sich Schleppern anvertrauen müssen und buchstäblich vor den Augen einer ungerührten europäischen Öffentlichkeit im Mittelmeer untergehen.

Doch der diskursive Wind hat sich gedreht, der moralische Kompass deliriert, nicht das Ertrinkenlassen gilt mehr als verwerflich, im Gegenteil, Bilder des Kentern und Ertrinkens scheinen als Mittel der Abschreckung von Flüchtenden von immer mehr Politikern beinahe nolens volens in Kauf genommen zu werden: Wer das Ertrinken der Menschen im Mittelmeer anprangert wird hingegen als naiv und links-link verunglimpft, denn: rechts ist die neue Mitte, und alles, sich dort nicht eingemeinden lässt, also auch der Teil des politischen Spektrums, den man früher einfach „die Mitte“ nannte, ist demzufolge links, oder, weil’s so schön klingt, eben links-links, und was in den asozialen Medien dazu geschrieben wird, möchte man eigentlich gar nicht wissen. Mit rechts-rechts hingegen gibt es wenig Berührungsängste, das ist cool, da es den eigenen kurzfristigen Vorteil auf Kosten anderer zur Grundlage jeden Handelns macht: Wer würde dieses Prinzip in einer auf Selbstoptimierung getrimmten Gesellschaft nicht verstehen? Das bedeutet, Ideen wie die, dass man Menschen von Flucht und Migration am besten abhält, in dem man ihren buchstäblichen Untergang oder allerwenigstens ihre Demütigung und ihr Elend in Kauf nimmt, alles natürlich medial möglichst breit gefeatured für der Lerneffekt! machen sich im Mainstream breit.

Daniel Kehlmann nahm in seiner Rede zur Eröffnung des heurigen Bruckner-Fests Bezug auf ein von ihm verfasstes Stück, das zum Thema hat, „wie im Jahr 1939 einem Schiff mit knapp tausend Flüchtlingen, darunter vielen Österreichern, erst das Anlegen in Kuba, dann in den USA verwehrt wurde – mit Argumenten, die denen, die wir heute in der Zeitung lesen, aufs Haar gleichen: Das Boot sei voll, das Aufnahmevermögen erschöpft, die Kultur dieser Leute zu fremd. Natürlich sieht das heute absurd aus: Die Vereinigten Staaten von Amerika unfähig, tausend Menschen aufzunehmen? Aber damals klang es nicht wie ein Witz, sondern wie Realpolitik.“

Heute geht diese „Realpolitik“ so weit, dass die Vorstellung der tatsächlich bereits existierenden europäischen Vorposten in Nordafrika bei manchem stramm-rechten FPÖ-Funktionär verrommelte koloniale Großmachtsfantasien wachruft, die ihn vom Militäreinsatz in Nordafrika faseln lassen. Das würde an sich nicht weiter verwundern, Funktionäre wie dieser haben aus ihren Gesinnungen nie ein Hehl gemacht, aus ihrem Herzen keine Mördergrube, auch wenn das in diesem Kontext vielleicht ein bisschen provokant klingt, und im Unterschied zu Deutschland, wo solche Meinungen eher auf ultrarechten Pe-, Le- und sonstigen Gida-Aufmärschen geäußert werden, sitzen in Österreich die Vertreterinnen und Vertreter solcher Ansichten nicht nur im Parlament, sondern ihre Partei stellt auch einen Teil der Regierung. Erschütternd ist, dass dem österreichischen Bundeskanzler und derzeitigen EU-Ratsvorsitzenden dazu wie üblich nichts einfällt: Denn, wir bitten um Verständnis, natürlich ist Schweigen eine Tugend, wenn man auf eine solche Koalitionspartnerin angewiesen ist und keinerlei moralische Basis oder politische Ideen jenseits des Abschottungsmantras oder gar ein demokratisches Grundverständnis für Rechte und Würde des Menschen auch im Fluchtfall gelten lassen will, und sich zu diesem Zweck, wie Daniel Kehlmann so schön gesagt hat, lieber mit „Möchtegern-Diktatoren“ wie Victor Orban verbrüdert. Oder, wie ich hinzufügen möchte, sich einen Kniefall vor echten Autokraten leistet und deren Medien damit einen unbezahlbaren Dienst erweist: denn die Macht des Bildes liegt, wie gehabt, in seiner unmittelbaren Wirksamkeit.

Und das heißt: Dass die politisch Verantwortlichen keinerlei Verantwortung mehr leben oder auch nur Verständnis zeigen für die Rechte aller Menschen, auch derer, die auf der Flucht sind oder aus wirtschaftlichen und umweltbedingten Gründen ein besseres Leben suchen. Es mag taktisch eine Zeit lang klüger sein, zu schweigen als die eigene moralische Unbelecktheit offen zur Schau zu stellen, verantwortliches Handeln ist es nicht und eine dauerhaft glaubwürdige Strategie gibt es übrigens auch nicht her.

Dabei stehen humanitäre Grundprinzipien zur Disposition, und nebenbei auch der zivilisatorische Grundkonsens dieser europäischen Union.

Indem die österreichische Regierung gegen jede wirtschaftliche und volkswirtschaftliche Vernunft – denn welche vernünftige Volkswirtschaft würde in Ausbildungen investieren, um anschließend die Ausgebildeten mit all ihrem Wissen und Fähigkeiten schnellstmöglich abzuschieben?, von den Interessen der nach Arbeitskräften dringend suchenden Wirtschaftsbetriebe selbst oder gar humanitären Erwägungen einmal ganz abgesehen – den Zugang zur Lehre für Asylwerbende sowie den Abschiebestopp für Lehrlinge beendet, dann tut sie das aus ideologischen Gründen, dann verhindert sie die Integration Integrationswilliger, die doch sonst so gerne gerade von ihr eingefordert wird. Dann tut sie das, um die Diskussion und das mediale Interesse an Geflüchteten am Köcheln zu halten: es ist schließlich ihr politisches Kernthema, ihre Markenidentität, gewissermaßen. Was soll eine politische Kaste, die auf ihr stetiges Schließen immer neuer behaupteter und realer Fluchtwege stolz ist und damit im Wahlkampf erfolgreich war, schließlich ohne Asylwerbende und Migration tun, die sie, um ihrem Ruf gerecht zu werden, stets als „illegal“ bezeichnet? Ohne Flüchtlinge kein ausschlachtbares Thema mehr, kein Grund also, eine Partei zu wählen, deren Erfolg sich im hohen Maße diesem Ausnützen – und eben auch Herbeiführen – menschlicher Tragödien verdankt. Und übrigens: Was soll überhaupt eine illegale Flucht sein? Wie stellt sich die österreichische Regierungsspitze eine legale Flucht vor?

Durch bewusste Verhinderung von Integration, die eben auch das Vorhaben der Freiheitlichen prägt, Asylwerbende möglichst ohne physischen Kontakt mit der Außenwelt und ohne sinnstiftende Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten in Lagern festzuhalten, werden Isolation, psychische Probleme der so Isolierten und nicht zuletzt Kriminalität befördert, denn: Sichtbare Ghettoisierung, Ausgrenzung und erhöhte Kriminalitätsraten erhöhen den Zulauf zu rechtspopulistischen Parteien – die dann weiter lustvoll an der Sicherheits- und Neidschraube drehen können, was wiederum den Druck auf die gesellschaftlich Ausgegrenzten erhöht und so weiter: eine humanitäre Abwärtsspirale von machiavellisch infamer Schlichtheit.

Aber: diese freiheitlichen Strategien werden von beiden Regierungsparteien in Österreich getragen. Die ÖVP steht hier mindestens ebenso in der Verantwortung, und, das ist vielleicht das Allererschreckendste: ein Großteil der Bevölkerung, der sich wohl als dem pragmatischen Mainstream zugehörig versteht, scheint das zumindest ohne Murren hinzunehmen.

Die Habenseite: Es gibt überall Menschen, die den Mund aufmachen, ein Phänomen, das mir tiefen Respekt abverlangt. Mutige Frauen und Männer mahnen zivilgesellschaftliche Mindeststandards ein, oft unter Gefahr für Leib und Leben, um gesellschaftliche Fehlentwicklungen und Ungerechtigkeiten zu benennen. An vielen Orten werden sie dafür verfolgt und bedroht, manche sogar mit dem Tod wie etwa der ägyptische Aktivist Mahmoud Abou Zeid (Shawkan), der nun doch „nur“ zu fünfjähriger Haft verurteilt wurde. Und dennoch reden sie. Mesale Tolu, die deutsche Journalistin, die nach Monaten der Haft in der Türkei ausreisen durfte, kündigte an, einfach mutig sein zu wollen und zu ihrem Prozess wegen „Unterstützung einer Terrororganisation“ zurückreisen zu wollen (warum fällt der türkischen Justiz nie etwas anderes ein?, könnte man übrigens fragen, wenn missliebige Journalisten und Journalistinnen mundtot gemacht werden sollen – und die sind das anscheinend per se, dem Regime missliebig nämlich, einfach, weil sie die Unverschämtheit besitzen, ihrer Arbeit nachzugehen). Und dennoch lässt sich der Mut und der Sinn für das, worauf es ankommt, wenn eine repräsentative Demokratie funktionieren soll – Gewaltentrennung, Unabhängigkeit der Justiz und des Parlaments sowie eine freie Presse, die darüber berichten kann, Meinungsfreiheit – offenbar nicht wegretouchieren.

Das EU-Parlament hat am 12.09. der Einleitung eines Strafverfahrens nach Artikel 7 des EU-Vertrages (und nach einer völlig ideologisch aufgeladenen und nationalistischen Rede Orbans, in dem er den Protest gegen die Aushöhlung des Rechtsstaates als Angriff gegen „die Ungarn“ gewertet hatte und die Bevölkerung Ungarns damit in billigster Weise in Geiselhaft nahm) mit einer Zweidrittel-Mehrheit zugestimmt – wegen der „systemische(n) Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte in Ungarn“. Es ist dies ein entscheidendes Zeichen dafür, dass das EU-Parlament sich – nach langem Zögern – des Wertes der Demokratie bewusst ist und endlich handelt.

Zuwanderung muss nach klaren Prinzipien geregelt werden, um den gesellschaftlichen Frieden in den Zuwanderungsländern zu erhalten, das scheint offensichtlich, und es braucht neben der Umsetzung des Menschenrechts auf Asyl – das, wie gerade hierzulande nicht vergessen werden sollte, nicht zuletzt als Reaktion auf das Verbrechen des Holocaust und den Umgang mit den vor ihm Flüchtenden deklariert wurde – auch andere legale Möglichkeiten der Einwanderung. Dazu bedarf es auch der Erkenntnis, das neben Flucht vor Kriegen, Verfolgung und Vernichtung sowie Umweltzerstörung ein Auswandern aus wirtschaftlichen Gründen, das nur allzu viele Europäer und auch Österreicherinnen schon im vorletzten Jahrhundert als einzigen Ausweg für sich sahen, nicht per se verwerflich ist, im Gegenteil. Die Umweltzerstörung aufgrund des Klimawandels kommt heute noch als essentieller Fluchtgrund dazu, wird in Zukunft aller Wahrscheinlichkeit nach noch stärkere Wanderungsbewegungen zur Folge haben, und auch für den Klimawandel sind die Angehörigen des konsumintensiveren „Westens“ ursächlich verantwortlich.

Doch zuallererst muss Migration als Tatsache anerkannt werden und zwar als eine, die enormes Gewinnpotential in sich birgt, auch wenn sie natürlich, wie alles im Leben, nicht reibungslos verläuft und verlaufen wird.

Inhumanität muss als solche benannt werden: Nein, es ist nicht normal und politisch akzeptabel, sehenden Auges den Untergang tausender Menschen im Mittelmeer in Kauf zu nehmen und ein Anlanden der Schiffe, die sie aus Seenot retten, zu verhindern und deren Eignerinnen und Kapitäne vor Gericht zu zerren. Es ist schweres Unrecht, es ist nicht mal menschlich, es ist zutiefst unmenschlich und grausam und zynisch, und wir alle, wir europäischen Bürgerinnen und Bürger, in deren Namen das ja angeblich geschieht, sind mitverantwortlich, sind: schuldig, wenn wir untätig zusehen. Oder eher wegsehen.

Um diese unmenschliche Praxis zu beenden, bedarf es einer Rekalibrierung der Gradmesser für Recht und Unrecht und mitmenschlichen Verantwortung, die ganz offensichtlich schwer ins Trudeln geraten sind. Dazu bedarf es neben der primitivsten Empathie vor allem der Bewusstseinsbildung für den Wert von menschlichen Grundrechten und demokratischer Grundlagen und demokratiepolitischen Rüstzeugs wie Versammlungs- und Meinungsfreiheit, Diskussions- und Kompromissfähigkeit, denn: Demokratie ist immer Kompromiss. Dafür bedarf es der Freude an und des Mutes zu politischer Mitwirkung und Veränderung der Rahmenbedingungen, die für gesellschaftlicher Ungleichheiten verantwortlich sind. Denn, wie Barack Obama es jüngst formulierte: „Die größte Bedrohung für unsere Demokratie ist Gleichgültigkeit. “

Die Bilder und Installationen, die im rotor zu sehen sind, wirken der Gleichgültigkeit entgegen, sie sehen genau hin, sie verdichten die Ungeheuerlichkeiten der Gegenwart zu intensiven Kunstwerken. Sie verführen dazu, Haltung einzunehmen und sie auch zu vertreten. Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass man schweigen könnte.

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