publiziert im Standard
If travel is searching
And home what’s been found
I’m not stopping
I’m going hunting
Björk, Hunter, auf: Homogenic
Es ist ein älterer Song Björks, der ihren künstlerischen Anspruch auf diesen Punkt bringt. Es ist schon oft gesagt worden, sie erfinde sich immer aufs Neue neu, es bringt wenig, das wiederzukäuen. Dennoch scheint dies geradezu ein Paradigma der künstlerische Suche zu sein, immer weiter zu gehen, sich zu entwickeln, nie auf Gewohntem auszuharren, so lange es die geistigen Möglichkeiten eben erlauben: alles andere wäre unbefriedigend.
Björks Konzert in Spandau an einem leuchtenden, eigens für Sommerfestivals gemachten Tag Anfang August beginnt wie ihr neues Album mit dem Titel „Stonemilker“. Um präziser zu sein, es beginnt mit dem „juxtapositioning“, einem sprechenden, optisch expressiven Wort, das die sich ineinander verkeilenden Widerhaken entgegengesetzter Standpunkte aus sich heraus zum Ausdruck bringt, in sich verkörpert, ganz anders als die etwas banale deutsche „Gegenüberstellung“. Verflochtene und verfilzte Diskussionsstränge, wie sie jede langjährige Beziehung kennt, erst recht eine in die Brüche gehende, von der Björk auf „Vulnicura“ berichtet, äußerst emotional und durchaus parteiisch, manchmal geradezu lustvoll parteiisch, an der Grenze zur Boshaftigkeit, ein Eindruck, den ihre Performance noch unterstreicht.
Sie untermalt den Spott mit den Händen, sie vernäht ihre Wunden, ummantelt sich selbst: Das gnadenlos Persönliche, das man nur zu leicht geneigt ist, in Björks Auftritten zu erkennen, ist allerdings auch ein – bei dieser Künstlerin immer ausgesprochen raffinierter – Kunstgriff: Die Sängerin ist Teil der Inszenierung, eine Art Harlekinfigur, und als solche ebenso ein Kunstprodukt wie etwa, das sage ich jetzt einfach so, eine Ichinstanz in einem literarischen Text. Dass sie sich in dem begleitenden Video zum Eingangssong in wallenden Hippiegewändern mit klaffender Vulvawunde auf der Brust präsentiert, schrammt am Kitsch allerdings nicht mehr nur hart vorbei, da hilft all die 360°-Technik nichts. Hier und heute wird kein Zweifel daran gelassen, dass es um Gefühle geht, und zwar um die ganz großen. Das ist für sich genommen ja nicht das Schlechteste.
Das Bild des verwundeten Herzens mit den Bändern darum, das ein wenig an bayrischen Barock denken lässt, wird kurz darauf im „Lionsong“ folgen. Über Kategorien wie Kitsch ist Björk wohl seit jeher erhaben, und dieser Umstand macht eben auch den Reiz ihrer immer radikalen, immer wieder das Neue, Unbekannte suchenden Ansätze aus, für die sie auch verschiedenste künstlerische Kooperationen eingeht. Dass sie von Album zu Album, von Video zu Video, einen anderen Zugang findet, sei es der rein vokale wie in „Medúlla“, sei es die Üppigkeit eines Streichorchesterteppichs, sei es die elektronische Klangzersplitterung und erneute Zusammensetzung: Ihre Klang/Bild-Gesamtkunstwerke sind immer frisch und verlieren auch mit den Jahren nichts von ihrer Attraktivität.
Radikal emotional Musik und Text, überzeugend die Dramaturgie des Abends. Auf der Bildebene arbeitet sie stark mit zoologischen Einblicken, insbesondere in die Welt der Insekten und Spinnen. Die Texte bleiben zunächst ganz bei der Trauer und Angst, die am Anfang des neuen Albums stehen, von der Verzweiflung in „Black Lake“, über die Frage, wie man sich selbst aus dem Sumpf, nein, nicht ziehen, sondern, ja, singen könne, „How will I sing us out of this sorrow?“, die Björk in „Family“ stellt, als sie deren Ende beklagt, bis zur Akzeptanz des Verlustes in „Notget“.
„Notget“, das deutet bei aller Abgeklärtheit der „lyrics“, wie es im Englischen so schön heißt, doch auch auf die narzisstische Kränkung hin, die es bedeutet, wenn man das, was man will, oder von dem man glaubt, es unbedingt bekommen zu müssen – was der Begriff im Kontext zwischenmenschlicher Beziehungen auch bedeuten kann, klingt er doch so sehr nach Habenwollen: den Anfang allen Unheils? die Wurzel des besitzergreifenden Übergriffs? –, wenn jedenfalls das, wonach man sich so sehr sehnt, nicht (mehr) zugänglich ist. Björks Texte sind in dieser Hinsicht authentisch, sezierend: nein, es ist nicht nur der Schmerz über das Zerbrechen einer Beziehung, den man, wie Björk postuliert, zulassen muss, um eine Chance zur Heilung zu haben, es ist auch das Gefühl, durch das Sich-Entziehen der geliebten Person zutiefst getroffen worden zu sein, an der Basis, so sehr, dass man Gefahr läuft, an der Autarkie des eigenen Ich zu zweifeln. Bis in die Tiefe ausgelotet wird das schwarze Loch, die existenzielle Erschütterung des auf sich selbst zurückgeworfen Seins in „Black Lake“. Und dieses Gefühl hat wohl jeder und jede schon erlebt, die/der den Verlust einer Liebe, oder dessen, was man dafür hielt, verarbeiten musste. Ohne Liebe, formuliert Björk, ist der Abgrund spürbar, die Todesangst verständlich. Sie scheut sich nicht, den Begriff zu verwenden, dabei bleibt die Frage letztlich unbeantwortbar: Was ist das denn nun, die Liebe?
Die narzisstische Bestätigung (ob man sich jetzt in schwarzen Seeoberflächen bespiegelt oder nicht) kann es ja wohl nicht sein. Der Song kommt denn auch zu einem anderen Schluss, nämlich, dass wir in der Liebe unsterblich seien.
Björks Konzertbogen bleibt an diesem Punkt, beim Schmerz und dessen Überwindung, nicht stehen, sie wirft ihre Bühnenperson, durch den Rhythmus schon angekündigt, wieder hinaus ins Leben: Gegen Ende von „Notget“ explodieren scharlachfarbene, mit hellen Funken durchsetzte Feuerwerke in den sattblauen Abendhimmel über den Renaissancegebäuden der Zitadelle; auch vor der Üppigkeit hat diese Künstlerin keinen ungebührlichen Respekt, zur Begeisterung des Publikums, und das sind an diesem Abend zehntausend Menschen. Was folgt ist neuer Aufbruch, sie verlässt „Vulnicura“, geht zurück zu „Homogenic“, auf die Jagd, „hunting“, nach Motiven, Eindrücken, Material. Äußerst einprägsam ersteht dazu in der Erinnerung das Video aus den späten Neunzigern, in dem nur ihr Kopf zu sehen ist, der sukzessive, stoßweise seine Raubtiernatur ausformt und dann wieder abschüttelt.
Nun kommt die Offensive: Die Blutquelle in weiblicher Gestalt, die „fountain of blood in the shape of a girl“ fordert auf, sie zu trinken: „drink me, make me feel real“, so etwas zu formulieren erfordert schon einen gewissen Mut. Doch was wäre Pop, wenn er nicht auch ganz dick auftragen dürfte, egal welchen Geschlechts die Person ist, die da Worte findet, und dass es der Geschlechter mehrere gibt, mit mannigfaltigen Ausformungen und Interpretationen, zeigt sich auch in Spandau, gehört ja doch zu Berlin. Im Kurzfilm zu diesem Lied, „Bachelorette“, geht es übrigens um das Schreiben, nämlich das eines Buches, und das erledigt das fragliche Buch gleich selbst. Ich als Autorin weiß nicht genau, ob ich dieses Konzept gut finden soll: praktisch, vor allem, wenn daraus ein Bestseller wird wie in Björks Fiktion, aber doch ein wenig, nunja, langweilig. Übrigens löscht es sich am Schluss auch wieder selbst, na bitte, das kommt davon.
Alles in allem ist der Abend berauschend, berührend, in Bild und Ton überwältigend (vermissen konnte man allerhöchstens ein wenig die leiseren Töne, die in ihren Alben immer einen reizvollen Kontrast zum durchaus epischen Klangvolumen darstellen, das trotz musikalischer Komplexität, Gegen-den-Strich-Bürstens, gelegentlicher Sperrigkeit vielen ihrer Stücke zu eigen ist). Tanzbar, raffiniert gemixt, eine bei aller Reflexion auch sehr mitreißende Performance, von der Suche nach den „mutual coordinates“, den gemeinsamen Koordinaten, bis zum gemeinsamen Kern, dem „mutual core“. Eine Bühnenperson ist eine Bühnenperson ist eine Bühnenperson.