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Vor Ladenschluss

„vorspiel“, Burgtheater
03.04.2005

Die Luft lässt die Schleimhäute verkleben trotz der Hochleistungsfilter, durch die die verkehrsträchtige Umgebungsluft gedrückt wird, während ich die Augen vor dem Kaufhallenlicht verschließe. Das Aussuchen strengt an, kein Wunder, man will schließlich auf Herz und Nieren prüfen, was angeboten wird, das ist klar, das ist mein gutes Recht als Konsumentin, nein, fast schon eine Pflicht, ich will schließlich eine gute Kundin sein, die das Vertrauen verdient, das in sie gesetzt wird, und außerdem muss der Preis stimmen, das ist das Wichtigste, die Qualität muss dem Preis entsprechen, und am allerbesten ist es natürlich, wenn dann der Preis noch reduziert wird. In diesem Punkt ist jedoch Vorsicht geboten.

Die Liste der noch zu erledigenden Dinge – dort drüben war noch ein Geschäft, das ich nur so im Vorübergehen wahrgenommen habe, das aber dennoch nicht ganz uninteressant ausgesehen hat, wer weiß, vielleicht ließe sich das eine oder andere finden, dann fällt mir ein, da war doch noch was anderes, ein weiterer Punkt, der heute Abend abzuhaken sein müsste, aber viel Zeit bleibt nicht mehr, und ich kann mich nicht erinnern -, die Liste sehe ich also hinter geschlossenen Liddeckeln, deren rötlicher Schimmer sich zu dunklen Anhäufungen zusammenballt, wenn ich mit der Faust die juckenden Augenwinkel reibe. Ich reiße die Augen auf, finde mich in einem Schauraum, dessen Ausstellungsstücke einem mir nicht näher bekannten Schema zufolge in der Absicht aufgestellt wurden, mich in die Tiefe des Raums zu schleusen und dort möglichst lange festzuhalten. Irgendetwas muss mich dazu bewogen haben, diesen Laden zu betreten, aber was, das kann ich nicht mehr sagen, so bemühe ich mich, die Schrift über dem Eingang aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren; es hilft nichts, ich brauche eine Pause. Ich habe ein Café gesehen, was heißt eines, mehrere, mit Brioche, Riesenschlangen und einem Eiffelturm, in dessen Fundamenten sich die Bar eingenistet hat, von der aus der ehrfürchtig erhobene Blick den Himmel über Paris bewundern können müsste.

Ich gönne mir jetzt was, das habe ich nötig, ein Mann mit adrettem Vornamensschild stellt es vor mich hin, während ich über den Rand der Glasbrüstung das Geschehen im Untergeschoß verfolgen kann. So viel los, das ist ja fürchterlich. Der Tearoom „Let them eat cake“ wird eifrig frequentiert. Meine Schläfen sind heiß und der Druck in der Stirnhöhle steigt; es müsste schön sein, sich von der Last des Kopfes zu befreien. Es müsste befreiend sein, das Gehirn, wie man so sagt, ein wenig auszulüften, den Kopf abzunehmen und neben sich zu stellen zwischen die Blumenschmuck und die Speisekarte und sich ein wenig mit ihm zu unterhalten: was tu ich hier? Wo will ich hin?, lauter Fragen, auf die mir keine brauchbare Antwort mehr einfiele.

Ich rekapituliere: Ständig im Blick und griffbereit (man weiß ja nie) behalte ich die verschiedenen Säcke mit der Ausbeute meines bisherigen Streifzugs. Nicht schlecht für die kurze Zeit, und das so knapp vor der Sperrstunde, da mischt sich der Zustrom zu den Einkaufszentren mit dem Berufsrückreiseverkehr in die Vororte, und so stehen wir Seite an Seite mit einem festen Ziel vor Augen, das ich längst erreicht haben müsste. Vielleicht wüsste der Kopf Bescheid? Doch der ist ja jetzt ganz allein auf sich gestellt und beschäftigt sich mit Aktuellerem: Wie lange kann er seine Funktionen noch aufrechterhalten? Wie lange sehen die Augen, wie lange funktioniert der Sehnerv, wie lange ist das Gehirn noch im Stande, die erhaltene Information zu verarbeiten? Hört man das Blut noch aus den Adern rauschen? Marie Antoinettes Kopf fiel in den dafür vorgesehenen Sack, vielleicht ist ihm Herumgereichtwerden erspart geblieben, das Vorzeigen, die Demonstration des von seiner Versorgung endgültig abgeschnittenen Zentrums des feindlichen Gedankenguts, das solcherart offensichtlich mit Stumpf und Stiel ausgemerzt wurde. Obwohl so aus der ungeduldig wartenden Masse heraus betrachtet (das sind so viele, man kommt bald nicht mehr durch) vermutlich nicht sehr viel zu erkennen gewesen sein dürfte, ähnlich wie bei einem Popkonzert, bei dem es auch ein Haufen Statisten vorn auf der Bühne tun würde, so lange die eingeblendeten Videos nur ein Bekanntheitsgefühl auslösen. Da lassen sich die Details heute besser verfolgen, und vor allem immer und immer wieder, bis der Server in die Knie geht.

Auf den Videos wird auch gekniet. Das ist auch fürchterlich. Ob der Blick noch auf die Umstehenden fällt, wenn der Kopf so seine Abschiedsrunde dreht? Ob das dumpfe Geräusch des umsackenden Restkörpers noch zu hören ist? Wohl kaum. Das Bewusstsein wird sich innerhalb von Sekundenbruchteilen ganz zurückziehen, doch ein paar Momente, bevor die Information der gekappten Versorgungsleitung als finales Signal das Gehirn erreicht, muss es geben, in denen die Augen noch sehen, die Ohren noch hören, und mit freundlicher Genehmigung versierter Medienexperten ist es dem Publikum auch möglich, den Vorgang in allen Einzelheiten zu studieren.

Und vor allem lassen sich solche Bilder betrachten, ohne dass man sich dabei in irgendeiner Weise die Hände schmutzig machen würde. Man ist schließlich nicht dafür verantwortlich, ich meine, niemand könnte behaupten, dass man verantwortlich wäre für ein Geschehen, bei dem man bloß zusieht, voll des Abscheus zusieht noch dazu. Das wäre doch zu hart geurteilt. Man kann sündigen in Gedanken, Worten und Werken, gut, das ist bekannt. Aber durch bloßes Hinschauen? Seit wann sollte das denn der Fall sein? Man kann doch nur zum Beispiel sogar Kinderpornos ansehen, so lange man sie nicht herunter lädt und auf der Festplatte abspeichert, und macht sich keiner strafbaren Handlung schuldig. Auch wenn tatsächlich ein jedes Ansehen von auf irgendwelchen Servern gespeicherten Bildern schon ein lokales Zwischenspeichern am eigenen Computer darstellt, entscheidend für die Kriminalität der Handlung ist einzig die Frage, ob das Abspeichern absichtlich oder beiläufig vollzogen wurde.

Das Schauen ist demnach gestattet, so lange man nichts für spätere Verwendung mit nach Hause nimmt, kein Abbild, kein Dokument, nichts, das die Anwesenheit am Ort der Zur-Schau-Stellung belegen würde. Das haben wir schließlich in der Schule gelernt: Du kannst tun, was du willst, sagte schon mein Klassenlehrer, so lange du dich nicht dabei erwischen lässt. Ein kategorisches Update: Tu, was du willst und lass dich nicht erwischen! Ich könnte also jede Körperöffnung, jedes Öffnen einer Hautoberfläche ungestört betrachten: Brustfüllungsimplantierungen, Herzoperationen, Köpfungen; es geht nichts über einen schnellen Internetzugang und es ist anzunehmen, dass auch die Pornoindustrie bald den Reiz orangefarbener Ganzkörperanzüge, dicht geschichteter Menschenpyramiden und mehr oder weniger geschickter Kehlschnitte für sich entdecken wird.

Sprachverwirrung herrscht dabei wohl kaum, im Gegenteil, die Bildsprache, an deren Entwicklung so heftig gearbeitet wird, ist universell: Das Bild einstürzender Türme ist von ebenso allgemeiner Verständlichkeit wie das Mitführen nackter Kapuzenmenschen an Hundehalsbändern und die Demonstration eines abgetrennten Kopfes. Taten statt Worte! Ist auch leichter zu handeln als zu sprechen, das Ausformulieren von Gedanken erfordert letztlich doch eine gewisse Anstrengung, und wenn die Handlung Wirkung haben soll, dann muss sie abgebildet werden, fotografiert, gefilmt, dokumentiert und veröffentlicht, sonst geht sie glatt als ungeschehen durch.

Apropos Handlung: die Zeit drängt, und ich muss weiter. Das Hirn ist reichlich ausgelüftet, und ich hab mir genug gegönnt. Die Geschäfte sperren sonst noch zu. Wir sind nicht zum Vergnügen hier.

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